«Netzwerke stärken, inklusive Bildung ermöglichen»: Tagungsrückblick und Take-Home Messages
Netzwerke können fehlende Ressourcen im Bereich Sonderpädagogik kurzfristig überraschend gut auffangen: ein wichtiges Fazit der Tagung Sonderpädagogik vom März 2024. Spannende Referate und Workshops beleuchteten die Hintergründe und ermutigten zur Reflexion. Langfristig braucht es aber Lösungen auf politischer Ebene, um der Herausforderung Fachkräftemangel zu begegnen.
Gelingende Netzwerke – was ist wichtig?
In ihrem Einstiegsreferat unterstrich Maren Schreier (Fachhochschule OST), dass ein erfolgreiches Netzwerk von den beteiligten Personen getragen werden muss. Es kann nicht von aussen diktiert werden. Nur so kann die Wechselseitigkeit von Geben und Nehmen garantiert werden. Wichtig ist zudem die Heterogenität innerhalb der Netzwerkgruppen. Diese verhindert, dass irrelevante oder sogar schädliche Resultate entstehen. Dieser Punkt hat auch Saphir Ben Dakon (AGILE.ch & mitPlan GmbH) aufgegriffen. Aus ihrer Sicht tragen heterogene Netzwerke zur Verhinderung multidimensionaler Diskriminierung bei. Dieser sind Menschen mit Behinderung immer wieder ausgesetzt. Sie regte in ihrem Referat auch dazu an, die eigene Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung zu reflektieren. Romain Lanners (Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik) gewährte Einblick in die schulische Separation in der Schweiz und setzte diese in den Kontext von Geografie, Personenschlüssel und den «Röstigraben» in der Ausbildung an den pädagogischen Hochschulen. Er schloss sein Referat mit Erkenntnissen zum Umgang mit Ressourcen. Hierbei verglich er indirekte und direkte Interventionen am Beispiel von Sprachtherapien: Vermitteln Fachpersonen ihr Wissen an Dritte – beispielsweise Eltern – so ist das bei gleicher Therapieeffizienz sehr ressourcensparend.
Ein vielseitiger Nachmittag
Themen wie die multidisziplinäre Vernetzung innerhalb von Institutionen, die Vernetzung mit Familien oder intra- und interkantonale Netzwerkarbeit, die die gute Begleitung des Kindes aufrechterhalten, prägten den Nachmittag. Auch lernten die Teilnehmer*innen partizipatorische Konzepte der Netzwerkarbeit kennen. Dazu erfuhren sie von der steigenden Relevanz der Abklärung von visuellen Wahrnehmungsstörungen. Grégory Tschopp (Centre Pédagogique de Malvilliers) und Jörg Berger (proEdu) rundeten den Nachmittag mit ihren jeweiligen Referaten ab. Grégory Tschopp illustrierte den Weg vom ersten Kontakt mit der Politik bis hin zur langjährigen Zusammenarbeit und präsentierte ein auf politischer Ebene getragenes pädagogisch-erzieherisches Konzept des Kantons Neuenburg. Jörg Berger setzte die Vernetzung verschiedener Schulen in den Fokus. Krönender Abschluss seines Referates stellte eine kleine Inszenierung auf der Bühne dar: Mit einer Person aus dem Publikum zeigte er anschaulich, was eine Änderung der Blickrichtung in die gemeinsame Richtung ausmacht. Haben alle die Bildung und gute Entwicklung des Kindes als gemeinsames Ziel vor Augen, so werden selbst harte Fronten weich und finden sich in Kompromissen.
Langfristig braucht es mehr
An der Podiumsdiskussion zeigte sich, dass das Netzwerk aus Fachpersonen, Forscher*innen, der Familie und der Politik ein grosses Potential zum Auffangen fehlender Ressourcen im Bereich der Sonderpädagogik hat. Jedoch nehmen wir auch die Rückmeldung von der Tagung mit, dass Interventionen auf unteren strukturellen Ebenen (beispielsweise Eltern, Fachpersonen oder Schulleitungen) die Herausforderungen, die sich durch fehlende Ressourcen ergeben, nur vorübergehend mildern können. Wichtig ist, dass Netzwerke zusätzlich auf höheren (politischen) Ebenen Unterstützung einfordern. Mögliche Ansätze hierfür sind noch festzulegen.
Integras geht dieser Problematik aktiv nach, indem es mit AvenirSocial, YOUVITA, Praxisverbänden und einem Forschungsprojekt von SavoirSocial zusammenarbeitet. Auch die Auswirkungen auf die Fachpersonen werden untersucht, um daraus entsprechende Erkenntnisse und Empfehlungen abzuleiten.
Text: Vivienne Simon
Fotos: Bianca Guggenheim