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Wohlbefinden und Verletzlichkeit in der Kinder- und Jugendhilfe

von Marion Pomey (Leiterin des Projektes) & Carina Pohl (Doktorandin des Projektes)

Das SNF-Forschungsprojekt «Verletzlichkeit und Wohlbefinden in der Kindheit» (2021-2025) untersucht die Perspektive von Kindern und Jugendlichen und zeigt auf, welche Bedingungen für ihr Well-Being (Wohlergehen und Wohlbefinden) in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zentral sind. Die Studie geht unter anderem den Fragen nach:

  • Wie verstehen Kinder und Jugendliche selbst Well-Being und Vulnerabilität?
  • Was ist für ihr Wohlbefinden besonders wichtig?

Um Antworten darauf zu finden, wurden in der gesamten Schweiz 56 qualitative Interviews mit 8- bis 14-Jährigen geführt, davon 33 mit Kindern und Jugendlichen aus der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Neben den Interviewdaten wurden auch Well-Being Maps und Collagen genutzt.


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Quelle: Datenmaterial des Projektes (Beispiele von Well-Being Maps)

Well-being und Vulnerabilität

In den Interviews beschreiben Kinder und Jugendliche Well-Being als ein „Gefühl der Zufriedenheit, des Ernstgenommen-Werdens und der Freiheit“. Besonders wichtig ist für sie, keine Gewalt zu erleben – gleichzeitig berichten viele Jugendliche von Mobbing und Grenzverletzungen. Zentral für ihr Wohlbefinden sind zudem vertrauensvolle und verlässliche Beziehungen zur Familie, zu Freundinnen und Freunden sowie zu Fachkräften, die als Ansprechpersonen bei Problemen dienen. Darüber hinaus spielen soziale Teilhabe, digitale Medien und sichere Räume eine grosse Rolle – insbesondere Rückzugsorte wie das eigene Zimmer. Auffällig ist, dass Kinder und Jugendliche aus der offenen Kinder- und Jugendhilfe insgesamt mehr über Well-Being-Momente als über Verletzlichkeit sprechen. Im Gegensatz dazu berichten jene, die in Heimen aufwachsen, häufiger von Erfahrungen der Verletzlichkeit und Verletzungen. Zudem zeigt sich, dass ihre positiven Erlebnisse oft nicht eindeutig als Wohlfühlsituationen beschrieben werden, sondern mit Unsicherheiten oder belastenden Erfahrungen verknüpft sind. Dies unterstreicht ihre erhöhte Vulnerabilität.


Sicherheit, Handlungsfähigkeit und Zugehörigkeit

Aus der Analyse der Interviews lassen sich drei zentrale Bedingungen für Well-Being und Verletzlichkeit ableiten:

  • Sicherheit
  • Handlungsfähigkeit
  • Zugehörigkeit

Diese Voraussetzungen können jedoch ins Gegenteil kippen – zu Unsicherheit, Ohnmacht und sozialem Ausschluss – und so Verletzlichkeit verstärken. Daher ist es entscheidend, in stationären Einrichtungen Strategien zu entwickeln, die:

  • Verletzlichkeiten minimieren,
  • Ohnmacht verhindern,
  • Transparenz fördern,
  • Handlungsfähigkeit stärken und
  • sichere Räume schaffen.

Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf Sprechräume gelegt werden, in denen Kinder und Jugendliche offen über Themen wie Scham und Beschämung sprechen können.


Publikationen aus dem Projekt

  • Pomey, M. & D’Alessandri, D. (2024): Geburt und Zugehörigkeit. In: Sozial Aktuell, 7-8
  • Pohl, C. & Pomey, M. (2024). Die Verflechtung von Vulnerabilität und Agency aus der Perspektive von Kindern in der Kinder- und Jugendhilfe. European Journal of Social Work​
  • Pomey, M. & Gabriel, T. (i. E.): Vulnerabilität und Resilienz in der frühen Kindheit. Handbuch empirische Forschung in der Pädagogik der frühen Kindheit.
  • Pomey, M.; Wang, M. & Pohl, C. (i. E.) Digital Media and Well-being in Residential Care. ​In: Schweizerische Zeitschrift für Soziale Arbeit.


Integras unterstützt das Projekt als Praxispartner.